Vorwort von Dr. med. Fritz Friedl

Liebe Leserin, lieber Leser!

Grundsätzliche Fragen werfen sich auf, wenn man ein TCM-Programm für den PC kommentieren möchte:

  1. Vertragen sich Computer und traditionelle chinesische Medizin überhaupt?
  2. Was will (und kann) ein Computerprogramm anderes vermitteln als ein Lehrbuch?
  3. Benutzen wir den Computer - oder er uns?

1. Vertragen sich Computer und traditionelle chinesische Medizin überhaupt?

In der langen Geschichte der TCM haben sich die Bilder und Erklärungen immer wieder den aktuellen Lebensbedingungen angepasst. Die Bilder des täglichen Lebens wurden dazu benutzt, Lebensvorgänge verständlich zu machen. Der Sachverhalt ist geblieben, aber die Didaktik hat sich verändert.

Die Bilder des ausgehenden 20. Jahrhunderts sind digital und eine einzige CD speichert heute mehr Fakten, als sich ein Mensch zu einem Thema merken kann. Es liegt nahe, den Rechner als Faktenspeicher zu verwenden, um mehr Informationen bereitzuhalten als wir es mit einem wunderschönen gebundenen Buch tun können.

2. Was will (und kann) ein Computerprogramm anderes vermitteln als ein Lehrbuch?

Um einen Roman zu lesen ist das Buch immer noch die bessere Lösung. Ein Fachbuch ist hingegen immer nur so gut wie sein Register, und auch das beste Register kommt an seine Grenzen, wenn man versucht, mehrere Stichworte zu verbinden. Hier eröffnen sich die Stärken des Computers, der seine Fakten blitzschnell umgruppieren kann und der auf jede gewünschte Stichwortkombination zu reagieren vermag. Ein "interaktives" Buch, - hat sich das nicht schon jeder gewünscht, der seine Lieblingsbücher mit Hilfe des Bleistiftes noch kommentarreich erweitert hat?

3. Benutzen wir den Computer - oder er uns?

Diejenigen, die ein Computerprogramm schreiben, geben nicht einfach nur Fakten und Daten ein. Sie bringen diese in eine bestimmte Form, von der sie glauben, dass sie dem (durchschnittlichen) Anwender entspricht. Somit ist der Programmaufbau für den Benutzer noch wichtiger als die Menge an integriertem Wissen. Nur derjenige Anwender, der mit dieser Form übereinstimmt, wird auch mit dem Programm zufrieden sein, andernfalls wird ihn ein Unbehagen nicht loslassen, dass er in seinem Denkfluss gehemmt und behindert wird.

Die Entwickler von MingMen® haben eine Form gewählt, in der nicht die Therapie sondern die Diagnostik im Vordergrund steht. Das sich Diagnostik und Therapie so verzahnen, ist ja ein (oder das) faszinierende Element der TCM - und trotzdem ergeben sich gerade beim Diagnostizieren die Mängel an Wissen und Zusammenhängen. MingMen® ähnelt einem alten Chinesen, der Ihnen bei der täglichen Arbeit über die Schulter schaut. Er nimmt Ihnen die Arbeit nicht ab, aber er hilft bei der Zuordnung zu diagnostischen Mustern, führt an Entscheidungen heran, und zeigt die Konsequenzen in Form von Behandlungsvorschlägen auf. Je nach Ihrer Erfahrung wird sich Ihre Arbeitsweise mit dem Programm unterscheiden und verändern. Daher profitieren Anfänger wie Fortgeschrittene von dieser Software und lernen bei der Arbeit, "learning by doing".

Dennoch, man kann die traditionelle chinesische Medizin nicht banal darstellen. Die Menge an erforderlichem Wissen ist groß, und die Theorie ist vielfältig. Daher ist auch der Umgang mit dem Programm nicht ganz einfach. Im Übrigen unterscheidet sich die Theorie gelegentlich von der praktischen Erfahrung. Auch der beste Lehrer irrt, und die Verantwortung über eine durchgeführte Behandlung liegt immer beim Therapeuten. MingMen® hilft, aber entmündigt nicht - und das ist das Beste, was man über ein Programm sagen kann.

Wasserburg, den 31.10.1996

Dr. med. Fritz Friedl

Chefarzt der Klinik Silima in Gut Spreng.